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Rechtswirksame Insolvenzanfechtung trotz Zahlung an den Gerichtsvollzieher

Mit seiner im September 2019 verkündeten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof BGH – wieder einmal – deutlich gemacht, wie einschneidend die gesetzlich möglichen Maßnahmen des Insolvenzverwalters sein können. Dass davon selbst die an den Gerichtsvollzieher geleisteten Zahlungen nicht ausgenommen sind, ergibt sich in diesem Falle aus der Inkongruenz gemäß § 131 InsO, der Insolvenzordnung. Die rechtliche Bedeutung von Inkongruenz ist „das fehlende Übereinstimmen einer Leistung mit einer zuvor bestandenen Verpflichtung des Leistenden als Schuldner“. Diese Inkongruenz macht eine Insolvenzanfechtung gemäß § 131 InsO deutlich leichter als bei einer kongruenten Leistung. Wenn der Insolvenzverwalter einer kongruenten Leistung anfechten möchte, dann muss er nachweisen können, dass sich der betreffende Gläubiger durch die erbrachte oder gerade wegen der Erbringung einer Leistung gegenüber anderen Gläubigern einen Vorteil verschaffen konnte. Im Erfolgsfall hat das für den Gläubiger die Folge, trotz erbrachter Leistung das dafür erhaltene Entgelt erstatten beziehungsweise zurückzahlen zu müssen.

Inkongruente Zahlung entbindet nicht von der originären Verbindlichkeit

In dem verhandelten Fall, der von den Vorinstanzen Amtsgericht Köthen und Landgericht Dessau-Roßlau entschieden worden war, geht es um vom Arbeitgeber nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge im hohen vierstelligen Bereich. Diese offenen Forderungen wurden teilweise in mehreren Teilbeträgen zu unterschiedlichen Terminen vom Gerichtsvollzieher eingetrieben, in dem Sinne vollstreckt. Die vom BGH zu klärende Frage war ein Insolvenzanfechten der geleisteten Zahlungen wegen Inkongruenz auf der Grundlage von § 131 InsO.

Dafür gibt es in Absatz 1 drei klar definierte Szenarien, und zwar wenn

  • die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder erst nach diesem Antrag erfolgt ist
  • sie innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag erfolgte und der Schuldner zu diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig war
  • die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und dem Gläubiger zum diesem Zeitpunkt bekannt war, dass diese Handlung andere Insolvenzgläubiger benachteiligen würde

Das BGH-Verfahren bezieht oder beschränkt sich auf die inkongruenten Zahlungen, zu deren Geltendmachung der Insolvenzverwalter gesetzlich verpflichtet ist. Er hat keinen Handlungs- oder Ermessensspielraum; vielmehr muss er im allseitigen Gläubigerinteresse alles unternehmen, um die Gläubiger bestmöglich zu befriedigen. Aus dem im Verhältnis zu den geleisteten inkongruenten Zahlungen zeitnahen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergibt sich zwingend die Inkongruenz nach § 131 InsO mit der Konsequenz, dass

  • die an den Gerichtsvollzieher in diesem betreffenden Zeitraum von bis zu drei Monaten geleisteten Zahlungen an den Insolvenzverwalter weiterzuleiten beziehungsweise abzutreten sind.

Jetzt ist die tatsächliche Abwicklung entscheidend.

  • Befindet sich das Geld noch in der Verfügungsgewalt der Gerichtskasse, dann geschieht von hieraus die Weiterleitung an den Insolvenzverwalter.
  • Hat die Gerichtskasse die erhaltenen Zahlungen an den oder die originären Gläubiger weitergeleitet, dann sind sie zur Erstattung verpflichtet. Das geschieht wahlweise an die Gerichtskasse zur Weiterleitung oder direkt an den Insolvenzverwalter.
  • Feststeht, dass durch die inkongruenten Zahlungen die Forderungen der Gläubiger unverändert geblieben sind. Die Beitreibung durch den Gerichtsvollzieher hat nichts bewirkt.

An dieser Stelle noch eine Anmerkung zur Insolvenzanfechtung selbst

Sie ermöglicht es dem Insolvenzverwalter, jegliche Vermögensverschiebungen, die vom Schuldner im zeitlichen Vorfeld des Insolvenzverfahrens selbst vorgenommen oder mittelbar veranlasst werden, innerhalb eines separaten Verfahrens wieder rückgängig zu machen. Das geschieht ausschließlich und immer im Interesse der Gläubiger. Deren Ansprüche gegen den Schuldner sollen vor Schmälerungen jeglicher Art geschützt werden.

Im vorliegenden Fall waren alle Voraussetzungen für eine Inkongruenz nach § 131 InsO erfüllt.

Zusätzlich waren vom BGH noch vielfältige Formalitäten zu prüfen, die sich aus Entscheidungen der Vorinstanzen, deren Verkündung und Zustellung an die Verfahrensbeteiligten respektive an Prozessbevollmächtigte ergeben haben. Hinzu kam noch eine drohende Verjährung gemäß § 199 BGB. Und sicherlich nicht alltäglich war die besondere Situation, dass es sich bei den inkongruenten Zahlungen um Vollstreckungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers gehandelt hat.

Wie die Situation gewesen wäre, wenn es sich bei der Inkongruenz nicht um Sozialversicherungsbeiträge sondern um Steuerschulden gehandelt hätte, bleibt dahingestellt.